Unsere Arbeitswelt hat sich während der Pandemie schlagartig verändert. Die Forderungen nach flexiblem, hybridem Arbeiten nach der Home Office Pflicht werden immer lauter. Doch wie organisieren wir uns? Wie schaukeln wir Flexibilität und Fairness? Wie lassen wir weder Teamgefühl noch Unternehmenskultur sterben?

Jahrelang verliess mein Vater morgens kurz nach sechs das Haus. Fast zweieinhalb Stunden Arbeitsweg mit dem Zug standen ihm bevor. Ob diese Reiserei wirklich nötig war? Die Frage stellte sich nie. Nun ist das Ende der Pandemie in Sicht, die Home Office Pflicht wird Ende Mai aufgehoben und Leader müssen entscheiden: Wo, wann und wie werden wir ab jetzt arbeiten?
 
Man könnte sagen: «Das soll doch jeder selbst bestimmen!». Doch genau hier beginnen die Schwierigkeiten: Wer darf für immer im Home Office bleiben? Wer muss ganz zurück? Und wer hat Vorrang beim Home Office – der junge Vater oder die Mitarbeiterin mit langem Arbeitsweg? Wie stellen wir sicher, dass beim Meeting alle dabei sind, wenn jeder dann arbeitet, wenn es ihm passt?
 
Jetzt ist der richtige Zeitpunkt, um die im Home Office gesammelten Erfahrungen zusammenzutragen und daraus eine Strategie für hybrides Arbeiten abzuleiten. Nachfolgend die drei Fragen, mit denen sich Führungskräfte auseinandersetzen müssen:
 
 

1) Wie profitieren wir von unseren Erfahrungen während der Home Office-Zeit?

 

Viele Menschen arbeiten seit über einem Jahr im Home Office. In dieser Zeit haben sie gemerkt, was für sie im Home Office gut funktioniert (z.B. regelmässige Pausen. Vormittage ohne Videocall) und was weniger (z.B. den ganzen Tag in Meetings vor dem Bildschirm sein, gleichzeitig Kinder betreuen). Auch Teams mussten sich neu organisieren: Anstelle des morgendlichen Kaffee gab’s virtuelle Treffen, neue technologische Tools wurden eingeführt und Remote-Kompetenzen erlangt. Herausforderungen gab’s viele:

 

    • Kommunikation und Koordination fanden mittels vielen verschiedenen Tools statt, was die Übersicht über alle Chats und Kanäle erschwerte.
    • Viel öfters wurde schriftlich kommuniziert, was anfälliger für Missverständnisse ist.
    • Sich schnell Hilfe zu holen war viel aufwändiger als im Büro und wurde teils unterlassen.
    • Einander Wertschätzung und Feedback zu geben kam oft zu kurz.
    • Die Transparenz darüber, womit Teammitglieder beschäftigt sind, war gering.
    • Informelle Gespräche wurden virtuell viel seltener als im Büro geführt. Dadurch schwand das Verbundenheitsgefühl.
    • Erfolge und erreichte Ziele wurden praktisch nicht gefeiert.
Eine gemeinsame systematische Reflexion ermöglicht es einem Team, seine Zusammenarbeit, Kommunikation und Arbeitskultur während der Home Office-Zeit genau zu analysieren. Auf dieser Basis kann das Team gemeinsam neue Prinzipien für die hybride Arbeit erarbeiten. So finden wertvolle Diskussionen statt, die wiederum das Vertrauen ineinander stärken.
Darstellung globale Verschiebung der Arbeitskräfte aufgrund der Covid Pandemie
Der Trend ist deutlich: rund 72% aller Arbeitnehmenden möchten laut einer globalen Studie auch nach der Pandemie von zu Hause arbeiten, die Mehrheit davon mindestens zwei Tage pro Woche. Neben dieser örtlichen Flexibilität haben viele Arbeitnehmende die zeitliche Flexibilität schätzen gelernt: Am Morgen einen ausgedehnten Spaziergang oder den Nachmittag mit den Kindern verbringen und dafür abends länger arbeiten.

Leader sind gefordert, Mitarbeitenden örtliche und zeitliche Flexibilität zu gewähren, denn diese erhöht Produktivität und Zufriedenheit. Gleichzeitig müssen sie verhindern, dass dadurch Koordination und Kooperation im Team beeinträchtigt werden. Um zu entscheiden, wie die Flexibilität ausgestaltet wird, sollte analysiert werden, wovon die Produktivität in einer Rolle abhängt: Je nachdem wie viel Fokus, Koordination und Kooperation notwendig ist, lässt eine Rolle unterschiedlich viel Flexibilität zu.

Beispielsweise:
    • Fokus: Wissensarbeiter brauchen längere Phasen, in denen sie allein ungestört Informationen sammeln oder verarbeiten können. Diese Fokuszeit kann sowohl im Home Office, wie auch in einem ruhigen Einzelbüro stattfinden, zeitlich ist sie ungebunden.

       

    • Koordination: Ein Teamleader gibt Feedback und Input, debattiert und motiviert. Dies geschieht synchron, jedoch besteht keine Notwendigkeit, hierfür im Büro zu sein, solange man entsprechende Tools beherrscht.

       

    • Kooperation: Für kreative Prozesse ist es nützlich, face-to-face mit anderen Menschen Ideen zu generieren, einen Prototyp mit jemandem zu challengen oder Gruppen direkt nach Feedback zu fragen Dies geht am einfachsten an einem gemeinsamen Ort.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass diejenigen Aufgaben viel Flexibilität zulassen, die unabhängig von anderen Personen erledigt werden können. Die optimale Lösung für hybrides Arbeiten hängt auch stark von den persönlichen Umständen ab: Besteht ein gut eingerichtetes Büro zu Hause oder wird am Küchentisch gearbeitet? Machen Kleinkinder konzentriertes Arbeiten unmöglich oder ist das Mittagessen mit Schulkindern gerade die richtige mentale Pause? Möchte der Arbeitnehmer regelmässig seine Teammitglieder im Büro antreffen oder ist ihm wohler in der selbstgewählten Einsamkeit zu Hause? Fühlt sich die Arbeitnehmerin dem Unternehmen zugehörig, weil sie schon lange dabei ist oder ist sie neu und möchte Unternehmenskultur und andere Mitarbeitende besser kennenlernen? Es ist nicht immer möglich, sämtliche Präferenzen einer Person zu erfüllen. Wichtig ist, dass Führungskräfte die persönlichen Bedürfnisse jedes Teammitglieds abholen und so weit wie möglich respektieren.
 
 

3) Auf was muss ich bei der Führung eines hybriden Teams achten?

 
    • Wie kann die Leistung eines Teammitglieds beurteilt werden, wenn man es nicht bei seiner Arbeit sieht? Hier kommt der Proximitäts-Bias ins Spiel: die falsche Annahme, dass diejenigen Menschen, die im Büro sind, produktiver sind, als diejenigen, die nicht im Büro sind. Dies geschieht, weil eine Führungskraft im Büro Mitarbeitenden über den Weg läuft und so die Wahrscheinlichkeit steigt, dass deren Leistungen gesehen und wertgeschätzt werden. Zudem werden sie aufgrund dessen eher für ein wichtiges Projekt ausgewählt. Mitarbeitende im Home Office sind dagegen geradezu unsichtbar. Die Führungskraft sieht nicht, ob sie bis spät abends oder schon frühmorgens gearbeitet haben. Auch ihre Leistung wird so nicht sichtbar und fällt bei wichtigen Entscheidungen weniger ins Gewicht.

       

    • Zusätzlich besteht Informationsasymmetrie: Beim hybriden Arbeitsmodell gelangen Mitarbeitende, die im Büro arbeiten, einfacher zu den neusten Informationen. Gleichzeitig erhalten sie beim informellen Austausch mit anderen Mitarbeitenden im Büro zusätzliche wertvolle Informationen. Dadurch kann bei der im Home Office arbeitende Mitarbeitende das Gefühl entstehen, dass sie Informationen immer als Letzte erhalten.
Führungskräfte sollten sich diesen zwei Phänomenen bewusst sein und in einer hybriden Arbeitswelt sicherstellen, dass sie die Leistungen ihrer Mitarbeitenden unabhängig von deren Arbeitsort beurteilen und ihnen stets Zugang zu allen Informationen gewähren. Einige Unternehmen, die schon länger nur remote arbeiten, gehen sogar soweit, dass jedes Meeting aufgezeichnet wird und allen zugänglich ist.

Wichtig ist zudem, dass sich die Führungskraft mit ihrem Team nun Zeit nimmt, um gemeinsame Werte und Regeln für den hybriden Arbeitsmodus zu vereinbaren: Wie machen wir sichtbar, wer wann wo arbeitet? Bis wann dürfen Meetings spätestens dauern? Wie stärken wir unser Vertrauen ineinander? Welche Vereinbarungen treffen wir bezüglich Erreichbarkeit? Wofür verwenden wir welche Kanäle? Wo benötigen wir noch Training oder Unterstützung? Wie oft treffen wir uns alle im Büro? Und wie schaffen wir es, dass wir auch im Home Office stets unsere Mission und unsere Ziele vor Augen haben?

 

 

Die Zukunft ist hybrid

«Seit Corona haben meine Kunden begriffen, dass ich nicht bei ihnen vor Ort arbeiten muss, wenn ich ein Konzept entwickle» meinte mein Vater kürzlich. Auch in Zukunft wird er einige Tage pro Woche im Home Office arbeiten – gerade so, wie es mit seinen anstehenden Aufgaben Sinn macht.
 
Es gibt kein Zurück. Hybride Arbeitsmodelle werden unsere Arbeitswelt prägen, denn sie vereinigen die Vorteile von Remote-Arbeit (höhere Flexibilität, mehr Produktivität, mehr Arbeitnehmerzufriedenheit) mit den Stärken von Vor-Ort Arbeit (informeller Austausch, stärkere kulturelle Sozialisation, mehr direkte Zusammenarbeit und kreatives Arbeiten).
Jedes Unternehmen steht in der Pflicht, jetzt die Transition zu einer hybriden Arbeitsweise anzupacken und so einen grossen Schritt Richtung neue Arbeitswelt zu machen.
 
Möchtest du mit deinem Team die Erfahrungen aus der Home Office Zeit reflektieren und darauf aufbauend neue Erwartungen und Prinzipien für die hybride Arbeit formulieren? Gerne unterstützen wir von Go Beyond dich dabei. Schicke uns eine Nachricht für ein vorbereitetes Board in Miro oder für Unterstützung bei einem Reflexions-Workshop: hi@gbynd.com
 
 
P.S. Kennst du den Work from Home Pledge von IBM? Auch dies könnte eine Idee für dein Team sein – natürlich für die hybride Arbeitsform.